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Presseschau: Vorschaltgesetz in Erfurt dem Kabinett vorgelegt

Das politische Tempo ist beeindruckend, mit der das Innenministerium um Holger Poppenhäger (SPD) die Gebietsreform durchsetzen möchte. Am 23.02.2016 wurde der Entwurf des Vorschaltgesetzes dem Kabinett vorgelegt und soll im April bereits beschlossen sein. Warum man dies an der "Bevölkerung vorbei" macht, bleibt allerdings deren Geheimnis.



Gebietsreform: Thüringen spendiert 155 Millionen Euro für Gemeindefusionen

Freiwillige Zusammenschlüsse von Gemeinden will die Regierung mit insgesamt 155 Millionen Euro prämieren. An den vorgegebenen Mindest-­Einwohnerzahlen lässt Rot-Rot-Grün aber nicht rütteln.
Erfurt. Die runde Summe von 100 Millionen Euro ist als Hochzeitsprämie für freiwillige Gemeindezusammenschlüsse vorgesehen. Bedingung: Die Neugemeinden müssen dauerhaft mindestens 6000 Einwohner haben.
Weitere 55 Millionen Euro werden zur Teilentschuldung von Städten und Gemeinden vorgesehen, die wegen hoher finanzieller Defizite sonst keine Partner finden würden. Der Höchstbetrag der Entschuldung liegt bei zehn Millionen Euro.
So steht es im Entwurf des Vorschaltgesetzes zur Gebietsreform in Thüringen. Der Text ist gestern in erster Lesung vom Kabinett beschlossen worden. Nach schriftlicher Anhörung der kommunalen Spitzen­verbände soll der Entwurf am 12. April abschließend beraten und anschließend dem Landtag zugeleitet werden. Wenn der sich beeilt, könnte das Vorschaltgesetz bereits im Juli Rechtskraft erlangen.
Für diesen Fall hat ein in Ostthüringen gegründeter Verein von Bürgermeistern und Verwaltungspraktikern angekündigt, mit der Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren gegen die Gebietsreform zu beginnen. Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) sagte gestern in Erfurt, das sei legitim. Er respektiere die Initiative.

Reformvorhaben nimmt an Fahrt auf

Inhaltlich könne er sie nicht bewerten, da er keinen Gesetzentwurf der Initiatoren kenne. Poppenhäger rief jedoch alle Bürger dazu auf, sich an der Debatte um leistungsfähige Gemeinden und ihre neuen Zuschnitte zu beteiligen. Die Freiwilligkeitsphase halte bis gegen Ende 2017 an. Wer danach noch unter der Mindest-Einwohnerzahl liege, werde per Gesetz neu gegliedert.
Der Innenminister betonte, dass mit der Beratung des Vorschaltgesetzes das gesamte Reformvorhaben nun deutlich an Fahrt aufnehme. Die Neugliederung der Landkreise, die mindestens 130?000 Einwohner bis ins Jahr 2035 haben sollen, werde in einem gesonderten Gesetz geregelt. Für den Erhalt der Kreisfreiheit schreibt bereits das Vorschaltgesetz mindestens 100?000 Einwohner vor. Lediglich auf kreisangehörige Gemeinden bezogen ergänzte Poppenhäger, dass Ausnahmen möglich seien, wenn es besondere Gründe dafür gebe. Zum Beispiel Gemeinden in Randlage.
Die oppositionelle AfD-Fraktion nannte das Prämienangebot eine Zuckerbrot- und-Peitsche-Strategie. Mit obendrein zu geringen Mitteln. In Mecklenburg-Vorpommern hätten sich die Anschubkosten der Gebietsreform auf fast 400 Millionen Euro summiert. Auch der Gemeinde- und Städtebund vermisst Aussagen zu Transformationskosten des Umbaus der Kommunen.




Gebietsreform in Thüringen soll 155 Millionen Euro kosten


Erfurt. Für die geplante Gebietsreform in Thüringen will die rot-rot-grüne Landesregierung maximal 155 Millionen Euro bereit stellen. Das geht laut aus dem Entwurf für das sogenannte Vorschaltgesetz hervor, das an diesem Dienstag erstmals im Kabinett beraten wurde.

Von der Gesamtsumme können maximal 100 Millionen an Gemeinden fließen, sie sich freiwillig zusammenfließen. Die Fusionsprämien werden gemäß der bisherigen Schlüsselzuweisungen des Landes gestaffelt. Der Mindestbetrag soll 65.000 Euro betragen, die Höchstgrenze würde bei einer Million Euro pro Kommune liegen.
Reiche Gemeinden, die bisher nicht auf Förderung des Landes angewiesen werden, sollen hingegen keine zusätzliche Förderung erhalten. Dies ist allerdings noch innerhalb der Koalition umstritten. Insbesondere die Linke drängt auf eine Gleichbehandlung.
Bis zu 55 Millionen Euro sind für Strukturbeihilfen an verschuldete Gemeinden vorgesehen. Mit den Geldern sollen sie für Fusionen attraktiv gemacht werden.
Bei Gebietsreform 1994 war Land ähnlich vorgegangen
Auch bei der Gebietsreform im Jahr 1994 war das Land ähnlich vorgegangen. Finanziert werden soll das Ganze vor allem aus der Rücklage in Höhe von knapp 140 Millionen Euro, die Finanzministerin Heike Taubert erst kürzlich aus einem Großteil der Überschüsse des Haushaltsjahres 2015 gebildet hatte.
Die Gebietsreform ist eines der wichtigsten Vorgaben der rot-rot-grünen Koalition. Nach den jetzigen Plänen sollen in Landkreisen ab dem Jahr 2018 zwischen 130.000 und 250.000 Menschen leben. Kreisfreie Städte müssen wenigstens 100.000 Einwohner haben. Die Mindestgröße von Gemeinden soll bei 6000 Einwohnern liegen.
Käme es so, würde sich die Zahl der bislang 23 kreisfreien Städte und Landkreise mindestens halbieren. Von den rund 840 Thüringer Gemeinden bliebe womöglich nur etwa ein Viertel selbstständig. Verwaltungsgemeinschaften, in denen die Mehrzahl der Gemeinden organisiert ist, sollen laut dem Vorschaltgesetz aufgelöst werden. Dafür sollen die Ortsteile in Einheitsgemeinden größere Rechte erhalten.
Gesetz soll am 1. Juli in Kraft treten
Das Kabinett will das Gesetz nach weiteren Beratungen und Anhörungen im April beschließen. Nach Beratung und Verabschiedung im Landtag soll es am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Danach beginnt die Phase, in der sich die Gemeinden freiwillig zusammenfinden können. Mit den Kommunalwahlen im Frühjahr 2018 soll die Reform umgesetzt werden. Erst dann werden nach den jetzigen Planungen auch die Fördergelder fließen.
Das Gesetz war bis zuletzt regierungsintern umstritten. So machte Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) ihre Zustimmung von einer Aufstockung der Mittel für den Hochwasser- und Gewässerschutz abhängig. Zuvor hatten SPD und Linke ihr umstrittenes Vorhaben einer Wasserentnahmeabgabe gestoppt, mit der sie die Pläne finanzieren wollte.





Leitartikel: Es tut weh

Martin Debes über den Protest der Gebietsreform: Das war zu erwarten. Wer sich an die Kämpfe erinnert, die 1994 um die letzte Gebietsreform in Thüringen geführt wurden, der wusste: Das wird auch diesmal kein Spaß für die Regierung.
Der Protest aus den Kreisen und Städten, die um ihre Eigenständigkeit oder ihre Existenz fürchten, sind nur der Anfang. Auch dass jetzt ein Volksbegehren vorbereitet wird, kann niemanden überraschen.
Überraschend ist eher, mit welch traumwandlerischer Sicherheit Rot-Rot-Grün diesen Protest vervielfacht. So waren die Regionalforen des Innenministeriums reine Alibiveranstaltungen. Auch die vorgesehenen Anhörungsfristen sind ein schlechter Witz.
Ausgerechnet Linke, SPD und Grüne, die mit dafür sorgten, dass direkte Demokratie in Thüringen praktisch möglich wurde, wollen jetzt lieber niemanden fragen – und das bei der größten Reform seit Langem.
Nur weil größere Gebietsstrukturen in Thüringen richtig sind, heißt das noch lange nicht, dass es egal ist, wie sie zustande kommen. Im Gegenteil: Sie müssen gut vorbereitet und noch besser erklärt werden.
Doch das Gesetz, das dem Kabinett vorliegt, leistet dies nicht ansatzweise. Dass man alles auf einmal binnen zwei Jahren durchziehen will, ist ein Fehler.
Von den Verwaltungsgemeinschaften wird die Selbstaufgabe gefordert, obwohl es intelligente Alternativen gäbe. Und die Behördenreform, ohne die das Ganze keinen Sinn ergibt, ist nicht einmal zu erkennen.
Es tut geradezu weh, wie die notwendige Modernisierung der Verwaltung vergurkt wird. Die Koalition sollte rasch und deutlich nachbessern.
Noch ist es nicht zu spät.


Weitere Beiträge:

Thüringer Funktional- und Gebietsreform


Dateianhänge

Gesetzentwurf zum Vorschaltgesetz







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