Pfarrer Martin Zunkel: Jugendweihe und Staatssicherheit 1955/56
Am 18.04.2016 hat der in Göttingen beheimatete Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KGdas Buch des Autors Dr. Markus Anhalt (katholischer Theologe, 2004 promoviert an der Universität Erfurt): "Die Macht der Kirchen brechen - Die Mitwirkung der Staatssicherheit bei der Durchsetzung der Jugendweihe in der DDR" veröffentlicht.
In dem 221 Seiten umfassenden Buch sind ab der Seite 82 ff (auf insgesamt neun Seiten) die Vorgänge in Verbindung mit dem ehemaligen Pfarrer von Dobitschen und späteren Superintendenten Martin Zunkel aus den Jahren 1955/56 detailliert nachgezeichnet.
Dabei spielen neben den Geschehnissen auch Örtlichkeiten aus der Gemeinde oder andere Dobitschner Persönlichkeiten, wie bspw. der damalige Schulleiter Rudolf Hoppe, eine Rolle.
Inwieweit die geschilderten Vorkommnisse den Tatsachen entsprechen, kann seitens der Seitenbetreiber nicht abschließend beurteilt werden.
Als Quellen dienten neben Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auch Unterlagen aus dem Familienbesitz der Familie Zunkel in Lumpzig.
Das Buch aus der Reihe: "Analysen und Dokumente der BStU - Bundesbeauftragte für Unterlagen des Staatssicherheutsdienstes der ehemaligen Deutschen Demotkatischen Republik - (Band 45)", dürfte also auch für Dobitschner von hohem Interesse sein, zumal viele Einwohner so manchen Protagonisten noch persönlich kennen dürften.
Buchbeschreibungen
"[...] Als der eben erst gebildete "Zentrale Ausschuss für Jugendweihe" der DDR im November 1954 völlig unvermittelt seinen Aufruf zur Jugendweihe veröffentlichte, kam dies vor allem für die Kirchen überraschend. Bereits die Jugendweihen vor 1933 hatten deutlich antikirchliche Züge getragen. Auch deshalb vertraten die Kirchen nun eine strikte Entweder-oder-Haltung, die Konfirmationen bzw. Firmungen für Jugendgeweihte ausschloss. Die Studie untersucht anhand der überlieferten Archive des Staatssicherheitsdienstes, welcher Anteil der Stasi bei der Einführung der Jugendweihe zukam. Mit Erfolg beeinflusste sie geistliche Amtsträger und versuchte, einen Keil zwischen die Gläubigen und ihre Seelsorger zu treiben. Ziel war es, Gegner der Jugendweihe mundtot zu machen. »Die Macht der Kirchen brechen« zeichnet die Anfänge der Jugendweihe in der DDR bis zum Ende der 1950er Jahre nach und klärt über die Mitwirkung der Staatssicherheit bei der Durchsetzung kirchenpolitischer Ziele auf. [...]"
"[...] Da es ihm in der Hauptsache um die Kenntnisse und Handlungsweise des MfS in Bezug auf diese Thematik geht, konzentriert er sich bewusst vorrangig auf MfS-Unterlagen. Auf dieser eingeschränkten Quellenbasis baut er seine chronologisch angelegte Untersuchung auf. [...] Die Schwerpunktdarstellung setzt mit Kapitel 6 ein: Das Jugendweihejahr 1955/56 ("Einheit in der Entweder-oder-Haltung der Kirchen"). A. schildert die Abläufe und berichtet über die Zielpersonen und Zielgruppen des MfS in der evangelischen und katholischen Kirche sowie der CDU. Den Analysen des MfS (vor allem Sachsen) fügt er einen Exkurs über die letztlich vergeblichen Aktionen des MfS gegen den thüringer Pfarrer Martin Zunkel an. [...]"
"[...] Ein bewegendes Beispiel von Zivilcourage und Stärke des Zusammenhalts zeigte sich in den Orten Lumpzig und Dobitschen im Kreis Schmölln. Dort geriet Pfarrer Martin Zunkel (1925–1994) ins Blickfeld des Staatssicherheitsdienstes. Er ermahnte im Februar 1955 die Pädagogen der Grund- und Oberschule, jegliche Werbung für die Jugendweihe an der Schule zu unterlassen, weil von staatlicher Seite stets die Nichtstaatlichkeit des Ritus betont worden war. Da seine Mahnung unbeachtet blieb, berief er eine Kirchgemeindeversammlung ein, um den Standpunkt der Kirche zur Jugendweihe darzulegen. Auf der Versammlung, an der ca. 500 Einwohner teilnahmen, wurde die Jugendweihe von den Anwesenden entschieden abgelehnt. Nun schaltete sich die Staatsmacht in das Geschehen ein.
Der Rat des Kreises "inszenierte" eine neue Versammlung. Nur wenige Gemeindeglieder waren geladen, als dem Pfarrer von ausgewählten SED-Mitgliedern haltlose Vorwürfe gemacht und schließlich die Möglichkeit einer Widerlegung verwehrt wurde. Als der Pfarrer die Versammlung verließ, wurde er als "Nazischwein", "Saboteur", "Verbrecher" und "Adenauer-Spion" verunglimpft. Manche riefen: "Schlagt ihn tot" oder "Hängt ihn auf, aber möglichst verkehrt herum". Eine Frau aus der Kirchengemeinde, die ihm folgte, wurde als "Schwarzkittelhure" und "Faschistenweib" beschimpft. Die Versammlung forderte die Absetzung des Geistlichen.
Dem Pfarrer wurde durch den Rat des Kreises eröffnet, dass er den Bezirk Leipzig binnen 72 Stunden zu verlassen habe. Landesbischof Mitzenheim, durch den Rat des Kreises informiert, legte gegen die Ausweisung des Geistlichen beim stellvertretenden Ministerpräsidenten Nuschke Beschwerde ein und beantragte eine Ministerratsentscheidung. Gemeindemitglieder sammelten Unterschriften für den Verbleib des Pfarrers. Die Stasi versuchte vergeblich, die Unterschriftenlisten einzuziehen und führte Vernehmungen der Initiatoren durch. Doch jedes Mal waren zahlreiche Einwohner vor Ort, sprachen Drohungen gegen die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes aus und forderten die Freilassung der Festgenommenen. Die Arbeitsleistung in den örtlichen Betrieben in der Gemeinde ließ nach, Arbeitsniederlegungen drohten. Der Kampf der Einwohner um ihren Pfarrer hatte schließlich Erfolg und Martin Zunkel durfte bleiben. [...]"
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR: Stasi in Sachsen - Die DDR-Geheimpolizei in den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig
Leseprobe des Buches S. 82-90 (2,2 MB)
Markus Anhalt: Die Macht der Kirchen brechen - Die Mitwirkung der Staatssicherheit bei der Durchsetzung der Jugendweihe in der DDR